Das Mädchen mit dem Perlenohrring hatte Wimpern und stand vor einem Vorhang: neue Entdeckungen


Neue Untersuchungen des berühmten Gemäldes von Vermeer haben das Team des Mauritshuis in Den Haag unter der Leitung von Abbi Vandivere zu einigen interessanten neuen Entdeckungen geführt.

Das Mauritshuis in DenHaag (Niederlande), die “Heimat” des weltberühmten "Mädchens mit dem Perlenohrring " von Jan Vermeer (Delft, 1632 - 1675), einem Meisterwerk, das um 1665 gemalt wurde, hat das Werk neuen Untersuchungen unterzogen, die viele zusätzliche Informationen über das Mädchen gesammelt und zu neuen Entdeckungen geführt haben. Die von der Restauratorin Abbie Vandivere (Konservatorin für Gemälde am Mauritshuis) geleitete Analyse mit dem Titel Das Mädchen im Rampenlicht wurde von einem internationalen Team von Wissenschaftlern mit einem multidisziplinären Ansatz durchgeführt, wobei nicht-invasive Scan-Techniken, Untersuchungen von Gemäldeproben und digitale Mikroskopuntersuchungen zum Einsatz kamen. Das Ergebnis ist ein viel tieferer “Blick” auf das Gemälde als je zuvor möglich war.

Eine der überraschendsten Entdeckungen betrifft den Hintergrund, der ursprünglich nicht einfach schwarz war, wie er uns heute erscheint: Vermeer hatte das Mädchen in Wirklichkeit vor einem grünen Vorhang gemalt. Mit Hilfe der Röntgenfluoreszenz wurden in der rechten oberen Ecke diagonale Linien und Farbvariationen entdeckt, die an die Falten eines Vorhangs erinnern, der nun durch die Einwirkung physikalischer und chemischer Mittel auf das Gemälde verschwunden ist. Und wieder wurde entdeckt, dass Vermeer die Wimpern des Mädchens gemalt hatte: heute sehen wir sie ohne sie, aber auch hier haben Röntgenfluoreszenz-Scans und mikroskopische Untersuchungen ergeben, dass der Künstler nicht an ein Bild der Augen des Mädchens dachte, wie wir es heute sehen.



Anschließend wurden die Techniken untersucht, mit denen Vermeer seine Werke malte. Der niederländische Maler begann damit, braune und schwarze Schattierungen auf die Oberfläche des Gemäldes aufzutragen: Dies wurde dank der Infrarot-Reflektographie entdeckt, die unter den Farben, die wir heute mit bloßem Auge sehen, starke Pinselstriche dieser Art erkennen ließ. Andere, feinere, schwarze Pinselstriche wurden verwendet, um die Umrisse des Mädchens nachzuzeichnen. Darüber hinaus nahm Vermeer im Laufe des Gemäldes einige Änderungen vor: Die Forschung hat eine Reihe von Wiederholungen in Bezug auf das Ohr, die Höhe des Turbans und den Nacken festgestellt, die alle ursprünglich an leicht unterschiedlichen Stellen platziert waren. Wir wissen auch, wie die Komposition entstanden ist: Nachdem er den Hintergrund gemalt hatte, konzentrierte sich Vermeer auf das Gesicht des Mädchens, danach malte er die Jacke, die Halskette, den Turban und schließlich den berühmten Perlenohrring. Ein Ohrring, der nichts anderes ist als... eine optische Täuschung: Am Ohr des Mädchens hängt in Wirklichkeit kein Ohrring, und die Perle ist mit kleinen Strichen durchscheinender weißer Farbe wiedergegeben. Schließlich hat Vermeer das Gemälde auch in der linken oberen Ecke signiert.

Detail des Vorhangs in polarisiertem Licht und Röntgenfluoreszenzfoto
Detail des Vorhangs im Polarisationslichtfoto und in der Röntgenfluoreszenz



Detail des Auges in digitaler 3D-Mikrofotografie (140-fache Vergrößerung) und Röntgenfluoreszenz
Detail des Auges im digitalen 3D-Mikrofoto (140-fache Vergrößerung) und in der Röntgenfluoreszenz
Vermeers Unterschrift
Vermeers Unterschrift

In der Studie wurde auch erstmals Vermeers Farbpalette kartiert: Für seine Gemälde verwendete er Zinnoberrot, mehrere Gelb- und Brauntöne, Ultramarinblau und Indigo, einige Schwarztöne und zwei Weißtöne. Bei letzteren war der Maler besonders sorgfältig, denn die Weißschattierungen waren unerlässlich, um die optischen und leuchtenden Effekte und Transparenzen zu erzielen, die der Künstler dem Gemälde verleihen wollte (siehe nur die Lichtvariationen auf der Haut des Mädchens). Eine Besonderheit ist die Herkunft der Farben: Die von Vermeer verwendeten Materialien stammen aus Mexiko und Mittelamerika, aus England und wahrscheinlich auch von den Westindischen Inseln. Das verwendete Ultramarinblau beispielsweise wurde aus einer Lapislazuli-Varietät aus dem heutigen Afghanistan gewonnen: ein sehr wertvolles Material, das zudem langwierige Präparationsverfahren erforderte (so sehr, dass es im Holland des 17. Jahrhunderts sogar als wertvoller als Gold angesehen wurde).

“Unsere wissenschaftliche Forschung”, so Abbi Vandivere, "hat uns näher als je zuvor an Vermeer und das Mädchen herangeführt. Durch die Kombination und den Vergleich verschiedener wissenschaftlicher Technologien hat uns die Studie viel mehr Informationen geliefert, als dies mit einer einzelnen Technologie möglich gewesen wäre. Wir können daher sagen, dass das Mädchen mit dem Perlenohrring ein viel persönlicheres Bild ist, als wir dachten. Diese Untersuchungen haben auch den aktuellen Erhaltungszustand des Gemäldes dokumentiert, so dass wir eventuelle Veränderungen in der Zukunft optimal verfolgen können".

“Achtung, ich werde jetzt einen Spoiler geben”, sagt die Direktorin des Mauritshuis , Martine Gosselink, ironisch: "Wir haben weder herausgefunden, wer diese junge Frau ist, noch wissen wir, ob sie wirklich existiert hat. Aber jetzt sind wir ihr ein Stück näher gekommen. Das Forschungsteam hat viele Entdeckungen gemacht, die das Mädchen sehr viel persönlicher machen. Dies ist jedoch nicht der Abschluss unserer Forschung, sondern ein Zwischenschritt. Wir wollen weitermachen: Die technischen Möglichkeiten entwickeln sich weiter, die Kooperationen wachsen, und auch der Wunsch, mehr zu entdecken, wächst. Wir werden Sie natürlich auf dem Laufenden halten! Wie Kritiker seit langem vermuten, ist das Mädchen mit dem Perlenohrring kein Porträt, sondern eine Tronie, d. h. eine Art Studie eines Individuums oder Charaktertyps, in diesem Fall eines Mädchens mit orientalischem Turban. Die Tronie war ein typisches Genre der holländischen Malerei des 17. Jahrhunderts, und das Mädchen ist das berühmteste Beispiel dafür. Wir wissen jedoch nicht, ob tatsächlich ein Mädchen für das Werk posiert hat, und die wirkliche Identität des Mädchens bleibt bis heute ein Rätsel. Für diejenigen, die mehr wissen möchten, haben wir die Identifizierung des Mädchens mit dem Perlenohrring bereits auf diesen Seiten erörtert. Wer die Geschichte der Restaurierung (und des Gemäldes) verfolgen möchte, kann den Blog von Abbi Vandivere besuchen, der dem Gemälde gewidmet ist und auf der Website des Mauritshuis zu finden ist.

Spezialisten des Niederländischen Instituts für Konservierung+Kunst+Wissenschaft+ haben in Zusammenarbeit mit den Universitäten von Antwerpen und Amsterdam, dem Shell Technology Centre in Amsterdam, dem Mikroskophersteller Hirox Europe, der National Gallery in Washington und anderen Partnern an der Untersuchung teilgenommen. Nachstehend finden Sie einige Fotos der Studie.

Fotografie mit polarisiertem Licht (René Gerritsen & Forschungsfotografie)
Fotografie mit polarisiertem Licht (René Gerritsen & Research Photography)



Röntgenfluoreszenz
Röntgenfluoreszenz



Links: Fotografie mit sichtbarem Licht, rechts: Infrarot-Reflektografie
Links: Fotografie mit sichtbarem Licht, rechts: Infrarotreflektografie



Das Detail des Perlenohrrings in digitalen 3D-Mikrofotografien (140-fache Vergrößerung)
Detail des Perlenohrrings in der digitalen 3D-Mikrofotografie (140-fache Vergrößerung)



Turban-Detail im digitalen 3D-Mikrofoto (140-fache Vergrößerung)
Detail des Turbans in der digitalen 3D-Mikrofotografie (140-fache Vergrößerung)



Abbie Vandivere und Annelies van Loon untersuchen das Gemälde mit Röntgenfluoreszenz
Abbie Vandivere und Annelies van Loon führen Röntgenfluoreszenzuntersuchungen an dem Gemälde durch



Emilien Leonhardt von Hirox Europe untersucht das Gemälde mit einem 3D-Mikroskop
Emilien Leonhardt von Hirox Europe untersucht das Gemälde mit einem 3D-Mikroskop



Vandivere vor das Gemälde setzen
Abbie Vandivere vor dem Gemälde

Das Mädchen mit dem Perlenohrring hatte Wimpern und stand vor einem Vorhang: neue Entdeckungen
Das Mädchen mit dem Perlenohrring hatte Wimpern und stand vor einem Vorhang: neue Entdeckungen


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