Gold und Qual: Die Poetik von Klimt und Schiele im Leopold Museum in Wien


In Wien beherbergt das Leopold Museum eine der weltweit bedeutendsten Sammlungen österreichischer Kunst der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und der Moderne. Zu den Höhepunkten gehören Meisterwerke von Egon Schiele und Gustav Klimt.

Das Leopold Museum im Wiener MuseumsQuartier, einem der größten Kunstkomplexe der Welt, beherbergt eine der weltweit bedeutendsten Sammlungen österreichischer Kunst der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und der Moderne. Jahrhunderts und der Moderne. Das von Rudolf und Elisabeth Leopold gegründete Museum beherbergt mit mehr als 8.300 Werken eine der größten und bedeutendsten Sammlungen der österreichischen Moderne, mit einem Schwerpunkt auf Meisterwerken von Egon Schiele und Gustav Klimt. In den 1950er Jahren begann der Augenarzt Rudolf Leopold mit dem Sammeln von Kunstwerken, wobei er sich vor allem auf Schiele konzentrierte und zahlreiche Werke zu relativ niedrigen Preisen erwerben konnte. Später, in den 1960er Jahren, wuchs die Sammlung beträchtlich und umfasste auch Werke expressionistischer Künstler wie Oskar Kokoschka, Richard Gerstl und Gustav Klimt. Zu Lebzeiten sammelte Rudolf Leopold nicht nur Kunstwerke, sondern auch Möbel und dekorative Gegenstände des Jugendstils und der Wiener Werkstätte, die von Künstlern wie Josef Hoffmann und Koloman Moser geschaffen wurden. Als aufgeschlossener Mensch, der sich für andere Kulturen und künstlerische Traditionen interessierte, umfasste seine Sammlung auch Objekte aus Afrika, Ozeanien und Ostasien. 1994 erkannte der österreichische Staat den unschätzbaren Wert der Privatsammlung Leopolds und übertrug sie mit Unterstützung der Republik Österreich und der Österreichischen Nationalbank in die Leopold Museum-Privatstiftung, um sie zu erhalten und der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Die Stiftung geht auf eine Vereinbarung zwischen Rudolf Leopold und der österreichischen Regierung zurück, die die Übertragung von über 5.000 Werken und Objekten an die Stiftung und die Errichtung eines geeigneten Museums vorsieht, das 2001 eröffnet wurde.

Das Museum beherbergt mit über 200 Werken, darunter Gemälde, Zeichnungen und Grafiken, die weltweit größte Sammlung von Egon Schiele (Tulln an der Donau, 1890 - Wien, 1918), einem der einflussreichsten und provokantesten Künstler des 20. Jahrhunderts, der als einer der Hauptvertreter des frühen österreichischen Expressionismus gilt. Zu den wichtigsten Werken, die hier zu sehen sind, gehören dasSelbstbildnis mit Alchechengi und das Bildnis der Wally Neuzil.

Schiele, dessen Talent sich schon früh herauskristallisierte, besuchte die Wiener Akademie der bildenden Künste dank seines Onkels Leopold Czinaczek, der seinen Neffen nach dem Tod seines Vaters unter Vormundschaft gestellt hatte. Doch schon bald rebellierte er gegen die starren akademischen Konventionen und wollte neue künstlerische Ausdrucksformen erkunden. So begann er, selbstständig zu studieren und besuchte Wiener Cafés, wo er Gelegenheit hatte, experimentierfreudigere Persönlichkeiten kennen zu lernen. Mit exzentrischen Gesten und intensiver Mimik vermittelte Schiele den Drang, den menschlichen Körper schonungslos zu erforschen, und deutete an, dass die Selbstreflexion eine tiefgreifende Verschmelzung von Körperlichkeit, Sexualität und existenziellen Fragen darstellt. Mit seiner gequälten Persönlichkeit setzte Schiele in seinen Werken scharfe, prägnante Linien ein, um eineLebensangst darzustellen. Seine Werke, die hauptsächlich aus weiblichen Porträts bestehen, neigen dazu, den Körper auf aggressive Weise darzustellen und seine Körperlichkeit zu überspitzen. Seine Modelle waren in der Tat Frauen, denen er persönlich sehr nahe stand, wie seine Schwester Gerti und Wally Neuzil, seine Geliebte und Protagonistin seiner erotischsten Porträts. Die Erotik und die Sexualität, die der junge Körper beim Übergang von der Jugend zum Erwachsensein entfesselt, waren auch Gegenstand seiner künstlerischen Auseinandersetzung, wie das Bild “Die liegende Frau” von 1917 zeigt, das sich heute im Museum befindet. Seine Selbstporträts hingegen offenbaren eine tiefe Introspektion und eine ausgeprägte Verletzlichkeit, die dieselbe Krise widerspiegeln, die die Stadt Wien zu jener Zeit erfasste. Die Stadt mit ihren offensichtlichen Gegensätzen entwickelte sich zum Zentrum sowohl der aristokratischen Elite als auch der liberalen Intellektuellen, mit der majestätischen Präsenz der Ringstraße und der dunklen Kulisse der Elendsviertel. Im Allgemeinen sind Schieles Körper in einem leeren Raum angesiedelt, der symbolisch für die existenzielle Dimension des Menschen steht, der zwischen Vitalität und Tod schwebt. Schiele fand in der bildenden Kunst Entsprechungen zur Krise des Individuums, ein Thema, das in der Wiener Philosophie, Psychologie, Literatur und im Theater um 1900 weit verbreitet war. Ein Beispiel dafür ist der Tod und das Mädchen von 1915, eines seiner berühmtesten Werke, das im Belvedere in Wien aufbewahrt wird. Es stellt die Verbindung zwischen Eros und Thanatos, zwischen Leben und Tod dar und spiegelt seine persönlichen Kämpfe und seine Weltanschauung, aber auch Sexualität und Erotik wider. Die emotionale Intensität des Gemäldes wird durch die dramatische Komposition und die Farbpalette noch unterstrichen. Trotz der kurzen Zeit seines künstlerischen Schaffens war Schiele unglaublich produktiv: Er schuf Hunderte von Zeichnungen, Gemälden und Aquarellen, von denen jedes eine unverwechselbare persönliche Note trägt. Seine Karriere wurde 1918 auf tragische Weise beendet, als er im Alter von nur achtundzwanzig Jahren an den Folgen der Spanischen Grippe starb.

Egon Schiele, Selbstbildnis mit Alchechengi (1912; Öl auf Tafel, 39,8 x 32,2 cm; Wien, Leopold Museum)
Egon Schiele, Selbstbildnis mit Alchechengi (1912; Öl auf Tafel, 39,8 x 32,2 cm; Wien, Leopold Museum)
Egon Schiele, Porträt von Wally Neuzil (1912; Öl auf Tafel, 32 x 39,8 cm; Wien, Leopold Museum)
Egon Schiele, Bildnis der Wally Neuzil (1912; Öl auf Tafel, 32 x 39,8 cm; Wien, Leopold Museum)

1907 kam es in einem Wiener Kaffeehaus zu einer für Schieles künstlerischen Werdegang grundlegenden Begegnung: Er lernte Gustav Klimt (Baumgarten, 1862 - Wien, 1918) kennen, eine Leitfigur des Jugendstils und Protagonist der Wiener Secession. Klimt wurde zu Schieles Mentor, der ihn in der Darstellung des künstlerischen Aktes und derErotik anleitete, Themen, die für beide zentral waren, die Schiele aber mit einer Intensität und Verletzlichkeit interpretierte, die ihn auszeichnete. Während Klimt für seine eleganten Porträts und die üppige Verwendung vonGold bekannt war, zeichnete sich Schiele durch seine Auseinandersetzung mitmenschlichen Ängsten und der Zerbrechlichkeit der Existenz aus. Obwohl beide der Wiener Kunstbewegung angehörten und ein gemeinsames Interesse an Erotik und Sinnlichkeit hatten, unterschieden sich ihre künstlerischen Ausdrucksformen, wobei Schiele eine rauere und experimentellere Sicht auf die menschliche Existenz vertrat. Klimts künstlerische Anfänge waren stark in den Traditionen der Gründerzeit, einer Zeit der raschen Industrialisierung in Mitteleuropa, und des Historismus verwurzelt. In dieser Phase fertigte Klimt vor allem Auftragsarbeiten über die Künstler-Compagnie an, die er gemeinsam mit seinem Bruder Ernst Klimt und Franz von Matsch gründete. Zu seinen Werken gehören realistische Porträts, wie das Sitzende Mädchen von 1894, das sich in der Sammlung Leopold befindet. Mitte der 1890er Jahre verließ Klimt diese frühe Phase, um einen individualistischen Stil zu entwickeln. Seine kühnen Entwürfe für die Fresken in der Großen Aula der Universität Wien lösten einen Skandal aus, positionierten ihn aber gleichzeitig als Wegbereiter der österreichischen Moderne. Zusammen mit einer Gruppe von Künstlern gründete er die revolutionäre Vereinigung Österreichischer Künstler - Sezession und übernahm den Vorsitz der Gruppe. Neben seinem berühmten Goldenen Zeitalter und seinen ikonischen Frauendarstellungen wagte sich Klimt auch an das Thema Landschaft heran, vor allem während seiner Sommeraufenthalte im Salzkammergut. Das Leopold Museum beherbergt eines der wichtigsten allegorischen Werke Klimts: Todund Leben, das 1910-1911 entstand und 1915-1916 überarbeitet wurde. In der Komposition stellt Klimt den Zyklus des menschlichen Lebens durch verschiedene Figuren dar, die das Leben und den Tod repräsentieren, wobei letzterer eine Keule in seinen skelettartigen Händen hält. In symbolischer Weise wählte Klimt für die Personifizierung des Todes ein Skelett in eleganter Kleidung und prächtigen Ornamenten, darunter Kreuze, und erinnerte damit an eine jahrhundertealte ikonographische Tradition. Im Gegensatz zur Figur des Todes symbolisiert die Figurengruppe auf der rechten Seite das Leben und die Hoffnung und bildet eine zweiteilige Komposition. Die Gruppe verharrt in einem passiven, schlafähnlichen Zustand und scheint von der Anwesenheit des Todes nichts mitzubekommen. Die dargestellten Personen scheinen dem vom Tod auferlegten Schicksal machtlos gegenüberzustehen. Nackte Körperteile wechseln sich mit farbigen Ornamenten ab und veranschaulichen Klimts Spiel zwischen Verbergen und Enthüllen. Aus bis heute unbekannten Gründen beschloss Klimt 1915, das Gemälde zu überarbeiten und sowohl die Farben, insbesondere den Hintergrund, als auch die Komposition gegenüber der ersten Fassung zu verändern, was durch eine 1913 in einer Kunstzeitschrift veröffentlichte historische Farbfotografie dokumentiert wird.

Die Beziehung zwischen Schiele und Klimt ist ein Schlüsselelement in der künstlerischen Erzählung des Leopold Museums. Klimt spielte für den jungen Schiele die Rolle eines Lehrers und Mentors, der seinen Stil und seine Einstellung zur Kunst veränderte. Die Dynamik des Einflusses zwischen den beiden Künstlern spiegelt sich in der Anordnung der Werke im Wiener Museum wider: Die Besucher haben so die Möglichkeit, den künstlerischen Dialog wahrzunehmen, der ihre Verbindung prägte. Anhand der ausgestellten Werke können die Besucher die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den beiden Künstlern in Bezug auf den Stil und die von Klimt und Schiele verwendeten Techniken erkunden. So kann man die Entwicklung der Wiener Kunst nachvollziehen und den gegenseitigen Einfluss der beiden Künstler besser verstehen.

Das Leopold Museum zeigt außerdem in seiner Dauerausstellung Wien 1900. Die Anfänge der Moderne einen Überblick über die künstlerischen Ausdrucksformen dieser Epoche: Rund 1.300 Objekte, darunter Gemälde, Grafiken, Skulpturen, Fotografien sowie Objekte aus Glas, Keramik, Metall, Stoff und Leder, Schmuck und Möbel, die auf mehr als drei Ebenen angeordnet sind, lassen das Publikum in die Wiener Moderne eintauchen. Darüber hinaus zeigt das Museum regelmäßig Wechselausstellungen zu bestimmten Themen der österreichischen Kunst oder stellt internationale Künstler vor und trägt so zum zeitgenössischen kulturellen Dialog bei und bereichert das kulturelle Angebot der österreichischen Hauptstadt.

Aber auch das von den Architekten Ortner & Ortner entworfene Gebäude selbst kann als Kunstwerk betrachtet werden: Ein allseitig mit weißem Kalkstein verkleideter, scheinbar glatter Quader zeigt im streifenden Licht unterschiedlich strukturierte Oberflächen, die der Steinmasse eine eigenartige Transparenz verleihen. Vom Dach des Museums schließlich hat man einen fantastischen Blick auf die Stadt: Seit September 2020 ist die nach ihrer Libellenform benannte Terrasse MQ Libelle bei schönem Wetter, etwa von April bis Oktober, bei freiem Eintritt zu besichtigen. Zu dieser Jahreszeit lohnt es sich also, nach einem Besuch im Leopold Museum zur MQ Libelle hinaufzusteigen, um bei einem erfrischenden Getränk zu entspannen und den schönen Blick über die Stadt und das pulsierende Leben im MuseumsQuartier zu genießen.

Gustav Klimt, Tod und Leben (1910-1911 und überarbeitet 1915-1916; Öl auf Leinwand, 180,5 x 200,5 cm; Wien, Leopold Museum)
Gustav Klimt, Tod und Leben (1910-1911 und überarbeitet 1915-1916; Öl auf Leinwand, 180,5 x 200,5 cm; Wien, Leopold Museum)
Leopold Museum. Foto: Alexander Eugen Koller
Leopold Museum. Foto: Alexander Eugen Koller
Fotos von Jonas Thiller
Fotos von Jonas Thiller

Gold und Qual: Die Poetik von Klimt und Schiele im Leopold Museum in Wien
Gold und Qual: Die Poetik von Klimt und Schiele im Leopold Museum in Wien




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