In Lucca zwingt das Kollektiv der Open Group dazu, dem Krieg in der Ukraine ins Auge zu sehen


In Years, einer neuen Ausstellung des ukrainischen Kollektivs Open Group (in Lucca, Tenuta dello Scompiglio), sind auf zwölf Monitoren die Jahreszahlen derjenigen zu sehen, die im Konflikt mit Russland ums Leben gekommen sind. Ein digitales Grab, das den formalen Minimalismus in ein Ritual der Erinnerung und der Verantwortung verwandelt und jede politische und künstlerische Neutralität ablehnt.

Viele werden vom polnischen Pavillon auf der Biennale von Venedig 2024 beeindruckt gewesen sein, mit der partizipativen Videoinstallation Repeat after me II des Kollektivs Open Group (Yuriy Biley, Pavlo Kovach, Anton Varga). Die Protagonisten der beiden Videos waren ukrainische Zivilisten, Kriegsflüchtlinge, die mit lautmalerischen Klängen die Geräusche von Waffen nachahmten, die sie zu erkennen gelernt hatten, und das Publikum aufforderten, sie ihnen in einem destabilisierenden Karaoke nachzusprechen. Einschüsse, Kanonenschüsse, Alarme, Sirenen und Explosionen wurden zur universellen Sprache der militarisierten Menschheit erhoben, zum endgültigen Idiom einer der nationalistischen und imperialistischen Politik unterworfenen Zukunft. Diese Installation, die sich durch ihre Dringlichkeit und Wirksamkeit in einer Ausstellung auszeichnete, die durch ein allgemeines postkolonialistisches mea culpa verflacht war, markierte die internationale Präsenz des ukrainischen Kollektivs Open Group, das bereits in Venedig vertreten war und seinen nationalen Pavillon für die Kunstbiennale 2019 kuratierte. Auch in diesem Fall handelte es sich um eine offene und interaktive Situation mit einer hohen politischen Temperatur. Im Mittelpunkt des Projekts stand der Überflug des größten Flugzeugs der Welt, der Antonov An-225 Mriya, über Venedig am Mittag des ersten Tages des Pre-Openings für Fachleute vor der offiziellen Eröffnung, das die Biennale-Gärten flüchtig überfliegen und ein digitales Archiv aller lebenden ukrainischen Künstler mit sich führen sollte. Im Mittelpunkt der Überlegungen standen die Forderung nach einer vollständigen Einbeziehung ukrainischer Künstler in den Kontext der globalen zeitgenössischen Kunst und die Anprangerung der politischen und historischen Gründe, auf die das Kollektiv seine derzeitige Randlage zurückführt. Die Fragen, die sich durch das Werk schlängeln (“Wurde die ukrainische Kunst im Schatten Europas versteckt? Oder war der zeitgenössische Kunstdiskurs nicht in der Lage oder nicht willens, die komplexe Geschichte der Ukraine zu berücksichtigen? Können unsere Mythologien ohne einen parallelen schriftlichen und dokumentierten Kanon auf die berühmtesten Geschichten der westlichen zeitgenössischen Kunst antworten?”) wurden durch eine fiktive Erzählung angeregt, die von einer Gruppe von Darstellern im ukrainischen Pavillon des Arsenale mündlich vorgetragen wurde. Ihren Stimmen wurde auch die Erzählung der Passage des großen Flugzeugs anvertraut, das im Übrigen den Namen Dream trägt und in der UdSSR als ironische Steigerung des widersprüchlichen Charakters des Begriffs des kulturellen Erbes konzipiert wurde, das in seiner ungewissen Überprüfbarkeit als nationaler Gründungsmythos vorgeschlagen wird.

Die Besonderheit der Offenen Gruppe besteht also darin, dass sie einseitige Kunst macht, die den Betrachter dazu auffordert, eine Position mit einer in der zeitgenössischen Kunst seltenen Frontalität einzunehmen. Von den vielen Werken, die sich im gegenwärtigen Panorama als politisch definieren (und bei dieser gedanklichen Erkundung berücksichtigen wir nur diejenigen, die wirklich einen Titel haben, um dies deklarieren zu können), gehen nur wenige über den Kanon einer allgemeinen Verurteilung des Kapitalismus, des Postkolonialismus, der Unterdrückung von Minderheiten, der kulturellen Auslöschung und all der anderen Themen hinaus, die dem demokratischen Imperativ des politisch Korrekten feindlich gegenüberstehen, mit dem sich die westliche Gesellschaft als Motor und Maßstab des ethischen und kulturellen Fortschritts weltweit eingerichtet hat. Und noch weniger fordern sie den Betrachter zu einer Entscheidung auf, sondern agieren lieber in einer dumpfen Komfortzone zwischen den beiden spannungsfreien Polen der emotionalen Solidarität mit den Opfern und der Empörung über die rücksichtslose Dynamik der Geschichte und der Geopolitik, die von Zeit zu Zeit hervorgehoben wird. Von größter Bedeutung ist zudem die Frage nach der Fähigkeit, diese Überlegungen so zu formalisieren, dass sie einen Betrachter, der auf der Suche nach einer künstlerischen Erfahrung ist, zufrieden stellen, ohne ihn, wie es oft der Fall ist, in die mühsame Entschlüsselung von Installationsgrafiken, Dokumenten und Artefakten oder gar akademischen Vorträgen zu zwingen.

Es ist sehr schwierig (oder vielleicht von vielen nicht beabsichtigt), aus dem aktuellen Geschehen Kunst zu machen und dabei all diese Aspekte zu berücksichtigen, zu denen noch die Kontroll- und Normalisierungsmechanismen eines Kunstsystems hinzukommen, das zwar kunsthungrig ist, aber nicht nur einEin Kunstsystem, das zwar nach Intensität und “Spezialeffekten” dürstet, aber paradoxerweise alles ablehnt, was nicht dem eigenen internen Kanon entspricht, bis hin zur Einordnung des Wettbewerbs in ein Genre mit Regeln und Wiederholungen, die denen anderer gleichkommen. Ganz zu schweigen von der Inkongruenz, die darin besteht, das kritische Denken als ein künstlerisches Produkt zu betrachten, das seine Lymphe aus dem bezieht, wogegen es sich auflehnt, und das schließlich (auch in finanzieller Hinsicht ) die offiziellen Weihen des Systems erhalten hat. Auf diesem tückischen Terrain bewegt sich Open Group mit einer Geringschätzung jeglicher Möglichkeit einer diplomatischen Unbestimmtheit, verstanden sowohl in politischer als auch in künstlerischer Hinsicht: Es gibt keine Zugeständnisse oder Zweifel an der vertretenen Position, und den Kunstmedien wird keine “zivile” Autonomie zugestanden, um sie von ihrer militanten (und militarisierten) Mission abzulenken. Die Werke wollen direkt auf den Punkt kommen, und um das zu erreichen, aktivieren sie manchmal brutale, manchmal poetische Formen der Beteiligung, die auf das Universelle abzielen, wie es nur diejenigen anstreben können, die einen Glauben haben.

Offene Gruppe (Yuriy Biley, Pavlo Kovach, Anton Varga), Warschau, 2024. Foto: Piotr Czyż / Zacheta-Archiv
Offene Gruppe (Yuriy Biley, Pavlo Kovach, Anton Varga), Warschau, 2024. Foto: Piotr Czyż / Zacheta-Archiv

Dieser Ansatz kehrt in einer Form wieder, die man als “radikalisiert” bezeichnen könnte, und zwar in der neuen italienischen Ausstellung des Kollektivs, Years, einem ortsspezifischen Projekt, das für die Räume der Tenuta dell’Associazione Culturale Dello Scompiglio in Vorno (Capannori, Lucca) konzipiert wurde, einem wertvollen kulturellen Inkubator auf dem toskanischen Land. Der große Raum, der den Dauerausstellungen gewidmet ist, wurde von den Künstlern in eine Art digitales Gräberfeld verwandelt: Er ist in Dunkelheit getaucht und wird von zwölf Monitoren unterbrochen, die wie Grabsteine auf einem Friedhof aufgestellt sind und auf denen jeweils eine Figur zwischen 2014 und 2025 erscheint. Die Bilder scheinen unbewegt zu sein, aber wenn man innehält, stellt man fest, dass es sich um die Aufnahmen einer fest installierten Kamera handelt, die die Jahreszahlen auf verschiedenen Gedenktafeln (man denkt natürlich an Verstorbene) im Freien einrahmt. Die Totenstarre der eingeprägten Zahlen wird durch kaum wahrnehmbare Umweltveränderungen, wie das Verflüssigen und Fließen einer Feuchtigkeitskondensation auf einem Glas oder einer Lichtreflexion auf Marmor, berührt, aber das bestätigt nur ihre unabänderliche Trägheit. Und dann die Geräusche des Alltags, die gleichzeitig mit den Bildern aufgenommen werden: das gelegentliche Getrappel von Schritten im Kies, Gesprächsfetzen, das Bellen von Hunden, das Motorengeräusch schwerer Fahrzeuge, das Krähen eines Hahns, Regen oder eine Alarmsirene.

Die Existenz, die sich aus dem Klang ergibt, ist so rau wie die Rohaufnahme, die den Besucher auffordert, zu bleiben und zu hören, ob etwas passiert. An dieser Stelle wird klar, dass auch die Zahlen Hinweise sind, aus denen diejenigen, die das internationale Zeitgeschehen aufmerksam verfolgen, eine Chronologie der verschiedenen Phasen des Konflikts zwischen Russland und der Ukraine erkennen können, beginnend mit dem Ausbruch der Feindseligkeiten im Jahr 2014 wegen der umstrittenen Annexion der Krim durch Russland. Die Daten, die die Zeit markieren, sind die Todesdaten von zwölf ukrainischen Kämpfern (geboren zwischen 1974 und 1999), die durch militärische Bekanntschaft und Freundschaft miteinander verbunden sind. Auf diese Weise verwandelt sich die scheinbar kalte Abfolge der Daten, die den Besucher zunächst in einer universellen Trauer um die im Krieg Gefallenen erstarren zu lassen scheint, in ein rituelles Pulsieren, das darauf abzielt, die ausgelöschten Leben mit einem stolzen Gefühl der Zugehörigkeit zu feiern.

Offene Gruppe, Jahre. Installation in der Tenuta dello Scompiglio (Vorno, Capannori, Lucca). Foto: Leonardo Morfini
Offene Gruppe, Jahre. Installation in der Tenuta dello Scompiglio (Vorno, Capannori, Lucca). Foto: Leonardo Morfini
Offene Gruppe, Jahre. Installation in der Tenuta dello Scompiglio (Vorno, Capannori, Lucca). Foto: Leonardo Morfini
Offene Gruppe, Jahre. Installation in der Tenuta dello Scompiglio (Vorno, Capannori, Lucca). Foto: Leonardo Morfini
Offene Gruppe, Jahre. Installation in der Tenuta dello Scompiglio (Vorno, Capannori, Lucca). Foto: Leonardo Morfini
Offene Gruppe, Jahre. Installation in der Tenuta dello Scompiglio (Vorno, Capannori, Lucca). Foto: Leonardo Morfini
Offene Gruppe, Jahre. Installation in der Tenuta dello Scompiglio (Vorno, Capannori, Lucca). Foto: Leonardo Morfini
Offene Gruppe, Jahre. Installation in der Tenuta dello Scompiglio (Vorno, Capannori, Lucca). Foto: Leonardo Morfini
Offene Gruppe, Jahre. Installation in der Tenuta dello Scompiglio (Vorno, Capannori, Lucca). Foto: Leonardo Morfini
Offene Gruppe, Jahre. Installation in der Tenuta dello Scompiglio (Vorno, Capannori, Lucca). Foto: Leonardo Morfini
Offene Gruppe, Jahre. Installation in der Tenuta dello Scompiglio (Vorno, Capannori, Lucca). Foto: Leonardo Morfini
Offene Gruppe, Jahre. Installation in der Tenuta dello Scompiglio (Vorno, Capannori, Lucca). Foto: Leonardo Morfini
Offene Gruppe, Jahre. Installation in der Tenuta dello Scompiglio (Vorno, Capannori, Lucca). Foto: Leonardo Morfini
Offene Gruppe, Jahre. Installation in der Tenuta dello Scompiglio (Vorno, Capannori, Lucca). Foto: Leonardo Morfini
Offene Gruppe, Jahre. Installation in der Tenuta dello Scompiglio (Vorno, Capannori, Lucca). Foto: Leonardo Morfini
Offene Gruppe, Jahre. Installation in der Tenuta dello Scompiglio (Vorno, Capannori, Lucca). Foto: Leonardo Morfini
Offene Gruppe, Jahre. Installation in der Tenuta dello Scompiglio (Vorno, Capannori, Lucca). Foto: Leonardo Morfini
Offene Gruppe, Jahre. Installation in der Tenuta dello Scompiglio (Vorno, Capannori, Lucca). Foto: Leonardo Morfini
Offene Gruppe, Jahre. Installation in der Tenuta dello Scompiglio (Vorno, Capannori, Lucca). Foto: Leonardo Morfini
Offene Gruppe, Jahre. Installation in der Tenuta dello Scompiglio (Vorno, Capannori, Lucca). Foto: Leonardo Morfini
Offene Gruppe, Jahre. Installation in der Tenuta dello Scompiglio (Vorno, Capannori, Lucca). Foto: Leonardo Morfini
Offene Gruppe, Jahre. Installation in der Tenuta dello Scompiglio (Vorno, Capannori, Lucca). Foto: Leonardo Morfini
Offene Gruppe, Jahre. Installation in der Tenuta dello Scompiglio (Vorno, Capannori, Lucca). Foto: Leonardo Morfini
Offene Gruppe, Jahre. Installation in der Tenuta dello Scompiglio (Vorno, Capannori, Lucca). Foto: Leonardo Morfini

Es ist bezeichnend, dass der Ausstellungsflyer nicht, wie sonst üblich, einen Vorgeschmack auf das bietet, was man beim Besuch der Ausstellung sehen wird, sondern die Form einer kruden Chronik annimmt, die die verschiedenen Phasen eines Krieges nachzeichnet, der noch gegen einen identifizierten Feind geführt wird. In diesem Werk hat sich die Open Group dazu entschlossen, mit einer Reduktion auf das Nötigste zu experimentieren, die eine irreduzible geografische und politische Spezifität offen lässt und die Notwendigkeit geltend macht, den Konflikt zu benennen, ihn historisch zu verorten und zu seiner Dynamik Stellung zu beziehen. Die Reibung zwischen dem fast groben Minimalismus der angewandten Formensprache und der bezeugenden Dringlichkeit, die sie beseelt, reißt jede kontemplative Distanz auf, ruft zum Handeln auf und drängt auf die Übernahme von Verantwortung angesichts einer Gegenwart, die weiterhin Opfer produziert, während das Kunstsystem Gefahr läuft, selbst den Krieg als ein weiteres Ausstellungsthema zu verstoffwechseln.

Abgesehen davon, ob man der ukrainischen Sache anhängt oder nicht, ist der interessanteste Aspekt, den die Praxis des Kollektivs aufwirft und der nie so deutlich wurde wie in dieser jüngsten Installation, die Frage, ob es möglich ist, Kriegskunst ohne Propaganda zu machen, ob Militanz mit der Komplexität des kritischen Denkens koexistieren kann, ob die Dringlichkeit der Anprangerung die Autonomie der künstlerischen Sprache respektieren kann. Die Antwort von Years auf diese Fragen ist eine subtile Strategie der Spannung, die darauf abzielt, die Nähe eines Konflikts spürbar zu machen, der durch den ununterbrochenen Fluss der Nachrichten zu einem Hintergrundgeräusch zu werden droht. Das Kollektiv vermeidet sowohl die Spektakularisierung als auch die dokumentarische Didaktik und konzentriert sich auf eine minimale visuelle Syntax, die die Mechanismen der kollektiven Verdrängung kurzschließen soll.

Obwohl das einleitende Statement die Position der Künstler eindeutig darlegt, schlägt das Werk keine eindeutigen Interpretationen oder geführte emotionale Wege vor und lässt den Besucher nackt vor einem unausweichlichen patriotischen Totenmonument stehen, das ihn zwingt, eine autonome Reaktion zu entwickeln. Das Experimentieren des Kollektivs mit Ausdrucksformen, die auf das Nötigste reduziert sind, um dem Gewicht der Notlage standzuhalten, wird schließlich als drastische Infragestellung der Widerstandsfähigkeit der künstlerischen Sprache angesichts des Einbruchs der Gewalt in die Geschichte konfiguriert. Die Vision von Open Group ist in dieser Hinsicht keineswegs tröstlich, denn sie suggeriert, dass eine solche Sprache nur in Form einer permanenten Wunde existieren kann, einer formalen Wunde, die nicht heilt, sondern offen und schmerzhaft bleibt. Years zeugt letztlich von der Möglichkeit einer Kunst, die, anstatt den Konflikt zu repräsentieren, seine zerstörerische Logik in ihre eigene formale Struktur einbezieht und sich selbst zum Symptom macht, bevor sie zur Diagnose wird.


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